Es ist Samstag der 10. September: 42.2 Kilometer und 1850 Höhenmeter werde ich heute Morgen unter die Füsse nehmen. Der Jungfraumarathon führt von Interlaken nach Lauterbrunnen (25km/300Hm) und dann geht es über Wengen auf die Kleine Scheidegg (17km/1500Hm). Als Berglaufweltmeisterin und Europameisterin möchte ich schon lange einmal den JFM gewinnen. Das ist ein Traum von mir. Das ist sicherlich ein hohes Ziel, aber es ist nicht unrealistisch. Ich habe mich schliesslich nach der gelungenen Halbmarathon EM in Amsterdam ganz spezifisch darauf vorbereitet.
So stehe ich am Samstag ganz zuversichtlich und mit viel Selbstvertrauen an der Startlinie in Interlaken. Die Sonne scheint und es ist schon relativ warm. Um 9.00 Uhr gibt Nicola Spirig den Startschuss. Von Beginn weg schlage ich ein hohes Tempo an und laufe vorne mit.
Nach 5 Kilometern bekomme ich meine erste Verpflegung von meinem Trainer Fritz gereicht. Heute wird die richtige Verpflegung von grosser Bedeutung sein. Die ersten 10km absolvieren wir in 35 Minuten. Das ist schnell, vielleicht etwas zu schnell. Nach 10 Kilometern bin ich plötzlich ganz alleine unterwegs. Die Männerspitzengruppe ist etwas zu schnell und die anderen zu langsam. „Muss ich jetzt die restlichen 32 Kilometer wirklich alleine laufen??“?Jetzt ist meine mentale Stärke gefragt und ich versuche das Positive darin zu finden. Z.B. hat das Alleinelaufen den Vorteil, kein Gekäuche eines anderen Mitläufers anhören zu müssen?
Glücklicherweise habe ich noch ein ganzes Betreuerteam auf der Strecke und alle 2-5 Kilometer bekomme ich mein Energiegetränk gereicht und werde motiviert.
Bei der Halbmarathonmarke zeigt die Uhr am Wegrand 1 Stunde und 20 Minuten. Mein Trainer Fritz Häni gibt mir die Weisung, nicht schneller zu laufen. Nach 25 Kilometer bin ich froh, geht es endlich bergauf. Ja der eigentliche Berglauf beginnt erst jetzt. Die Umstellung vom Flachen ins steile Gelände fällt mir relativ leicht und ich kann ein gutes Tempo gehen.
In Wengen (Kilometer 30) werde ich wie auch schon in Lauterbrunnen mit tosendem Applaus empfangen. Das ist ein mega schönes Gefühl und man fliegt nur so den Berg hoch. Noch immer fühle ich mich sehr gut. Ohne Mitläufer fühle ich mich aber etwas einsam?. Darum bin ich froh, habe ich auf den letzten 12 Kilometer regelmässig einen Betreuer auf der Strecke.
(Bruder Philipp)
Kilometer 38 ist erreicht und ich weiss, dass ich sehr gut in der Zeit bin. Um den Streckenrekord der mehrfachen Weltmeisterin aus Österreich zu unterbieten wird es aber knapp. Mein Trainer Fritz hat mir immer gesagt, dass die entscheidende Zeit auf den letzten 4-5 Kilometern fallen wird. Also gebe ich noch alles. Es geht noch 2-3 Kilometer steil berghoch und einen Kilometer leicht herunter. Um den Streckenrekord nicht zu verpassen renne ich den letzten Kilometer als würde ich um mein Leben rennen:-D
Überglücklich und unter tosendem Applaus überquere ich die Ziellinie als Siegerin nach 3 Stunden und 19 Minuten, mit einem Vorsprung von etwa 10 Minuten auf die zweite Dame, Michelle Maier aus Deutschland. Dritte wird wird die mehrfache JFM Siegerin Aline Camboulives aus Frankreich.
Hinter nur 10 Männern kann ich den Streckenrekord um mehr als eine Minute unterbieten. Ich bin überwältigt, glücklich und erleichtert.
Ein Wahnsinnsgefühl erlebe ich in dem Moment. Ich umarme meine Eltern und falle meinem Trainer überglücklich um den Hals. Ich bin zwar gelaufen, doch was mein Trainer dazu beigetragen hat ist einfach genial und ich bin ihm so dankbar dafür. Unsere Zusammenarbeit funktioniert einfach perfekt und zusammen mit der grossen Unterstützung meiner Eltern und meinem Umfeld konnte ich heute meine volle Leistung abrufen und mir einen Traum erfüllen.
An dieser Stelle ein riesengrosses Dankeschön an sie alle und auch an mein 18-köpfiges Betreuerteam auf der Strecke. Ihr wart Gold wert und ich schätze das sehr.
Natürlich möchte ich mich auch bei allen anderen bedanken, die mich in irgend einer Form unterstützt haben (Doktor, Masseur, Familie, Freunde, Sponsoren, Organisator, Fans und alle die ich vergessen habe). Merci auch für die zahlreichen Nachrichten, SMS, E-Mails, Briefe etc. Ich entschuldige mich dafür, dass noch nicht alle eine Antwort von mir gekriegt haben. Ich schätze eure Nachrichten aber sehr.